Mario Becksteiner: Rede für die "Wissen - Schafft - Österreich" Demonstration am 6.12.2010

Ich möchte meine Rede beginnen mit einem Zitat von Rosa Luxemburg, sie betonte: „es ist und bleibt die revolutionärste Tat, immer laut zu sagen was ist.“

Ich möchte mich an diesem Zitat von Rosa Luxemburg orientieren und einige Dinge laut sagen, die in der öffentlichen Debatte rund um außeruniversitäre Forschung und auch um Forschung im Allgemeinen meines Erachtens vollkommen unerwähnt bleiben.
Die meisten Wortmeldungen drehen sich um die enorme Bedeutung von Wissenschaft bei der Einwerbung von EU Geldern, oder wie wichtig die Wissenschaft für den Standortwettbewerb sei. Oft wird der Begriff der wissensbasierten Ökonomie verwendet und dass es angesichts dieser ökonomischen Entwicklung ein Wahnsinn sei Forschung budgetär zu kürzen.

Das sind die offiziellen und medial repräsentierten Diskurse, ich möchte aber etwas ANDERES in den Mittelpunkt stellen. Eine andere Realität.

1) Seit der Begriff der wissensbasierten Ökonomie Anfang der 90iger Jahre als neues ökonomisches und politisches Leitbild auftaucht, verschlechtern sich die Arbeits- und Lebensbedingungen von WissenschafterInnen. Es verschlechtert sich auch die finanzielle Situation der Universitäten und jetzt auch massiv die Situation der außeruniversitären Forschung. Ganz offensichtlich, wird mit Hilfe dieses diskursiven Konstrukts keine allgemeine Aufwertung von Forschung betrieben, sondern eine strategische Umlenkung von Geldern hin zu leicht verwertbaren Wissen.
2) Gleichzeitig setzt sich in der Forschungslandschaft der Imperativ einer Wettbewerbslogik durch und breitet sich in den Wissenschaften aus.
3) Das hat zur Folge, dass sich sowohl Institute als auch Forschende und Lehrende einem gesteigerten Wettbewerbsdruck ausgesetzt sehen. Vermittelt wird dies über künstlich geschaffene Leistungsbewertungen in Form von Impact Points für WissenschafterInnen und ECTS Punkte für Studierende. Institute müssen sich ebenso einem permanenten Evaluationsdruck unterwerfen. Alles in allem wirkt dies auf Institutionen und Personen als Disziplinierungsmaßnahme und verinnerlicht sukzessive das Wettbewerbsdenken, mit allen negativen Folgen für die Forschung.
4) Für Beschäftigte bedeutet dies unter anderem, permanente Selbstrationalisierung im Sinne der Beschäftigungsfähigkeit und der Employability. Permanente Optimierung des eigenen Portfolios. Es bedeutet zusehends eine permanente Unterwerfung der eigenen Person unter den Druck des Wettbewerbs.
5) Das führt dazu, dass es oft keine klare Trennung mehr zwischen Arbeitszeit und Freizeit gibt. Das gesamte Leben wird sukzessive zum Arbeitsprozess. Burn – Out, ekszessiver Eskapismus und diverseste psycho-somatische Erkrankungen und depressive Angst- und Stresszustände sind häufige Phänomene.

Also was gilt es im Sinne Rosa Luxemburgs laut zu sagen.
Das Narrativ, die Erzählung einer wissensbasierten Ökonomie oder einer Wissensgesellschaft, hat sich als positives Zukunftsprojekt bis auf die Knochen blamiert. Tagtäglich zerbricht dieses Narrativ an den realen Lebensumständen, von vielen ForscherInnen, Lehrenden und Studierenden.
Die Ausdehnung von kapitalistischer Markt-, Waren- und Konkurrenzlogik, auf die Wissenschaften hat sich als gesellschafts- und zusehends auch als sozialpolitischer Irrweg erwiesen.
Wenn wir nicht riskieren wollen, dass ganze Generationen von AkademikerInnen auf Dauer in prekären Lebensverhältnissen gefangen bleiben, müssen wir einen radikalen Paradigmenwechsel einfordern.

Bei vielen ruft die derzeitige Situation, zu Recht, eine massive Desillusionierung bezüglich der politischen EntscheidungsträgerInnen  hervor.

Ein Student hat es schon letztes Jahr im Audimax wie folgt ausgedrückt: „Die Zukunft die DIE uns versprechen ist doch schon heute ein gebrochenes Versprechen.“ Und er sollte, wie wir heute sehen, nur allzu Recht behalten.
Eine Kollegin von mir, die wie so viele von uns von Projekt zu Projekt hetzt und immer einer ausbleibenden gesicherten Zukunft hinterher rennt hat ihr derzeitiges Lebensgefühl so ausgedrückt: „Wir sind doch nur noch Bettler mit einer guten Story!!!!“

Für mich bedeutet diese Realität, diese IST Situation, die zumeist nicht in den Medien breitgetreten wird folgendes:
1) Wir müssen ein für allemal klar machen, dass wir keine Humanressourcen oder Standortfaktoren im globalen Wettbewerbskrieg sind, sondern wir sind Menschen.
2) Jedwede Strukturreform im Wissenschaftsbereich, muss als oberstes Ziel haben, die Situation von Forschenden und Lehrenden nachhaltig zu verbessern und darf nicht der Optimierung des Wirtschaftsstandortes untergeordnet werden.
3) Das heißt, robuste und sichere Strukturen zu schaffen, in deren Rahmen vernünftige Projektarbeit möglich ist; und das auf breiter Basis.

Soweit einmal die Wünsche ans Christkind und ich glaube, als WissenschafterInnen wissen wir, das Christkind gibt es nicht. Und genau so glaube ich auch, sind die Wünsche an die Regierung relativ sinnlos, denn die politische Ausrichtung zeigt nicht erst seit diesem Sparpaket in eine andere Richtung.

Das bringt mich zu für mich eigentlich wichtigeren strategischen Fragen, die sich um unsere eigene Handlungsfähigkeit drehen.
Dazu zwei Zitate:
a) Das erste Zitat ist mehr eine grundlegende Ausrichtung der Gewerkschafts- und ArbeiterInnenbewegung: An Injury to One is an Injury to All. Wir dürfen uns nicht einlassen auf den ministeriellen Bazar, der sich nun abzeichnet. Wir dürfen uns nicht einlassen auf ein Gefeilsche um Einbindungen von Instituten in Universitäten die sowieso schon hoffnungslos überfordert sind und auf eine Abwicklung der Anderen.
b) Viele von uns, sind nun verängstigt aufgrund einer unsicheren persönlichen Zukunft. US-KollegInnen standen vor sehr ähnlichen angsteinflössenden Umständen. Doch sie haben versucht sich zu organisieren und folgten dabei einem Slogan, der auch für unsere eigenen, wie ich glaube notwendigen Organisierungsversuche, prägend sein muss: Don`t panic individually, organize collectively.

Nur ein solcher Organisierungsprozess kann mittel- und langfristig die Stärke entwickeln, damit wir uns nicht mehr aufreiben lassen in einem Konkurrenzkampf, der am Schluss nur einige wenige Academic Super Heroes übrig lassen wird, ob auf institutioneller oder individueller Ebene. Alle anderen werden in die Prekarität abgedrängt und das wird die Mehrheit sein.