Stellungnahme der IG Externe LektorInnen und Freie WissenschaftlerInnen zum Entwurf des Kollektivertrags der wissenschaftlichen Bediensteten an österreichischen Universitäten der Gewerkschaft öffentlicher Dienst (GÖD) vom 1. Dezember 2005

Die IG begrüßt den im Entwurf eingeschlagenen Weg der Einführung eines Tenure Track ähnlichen Laufbahnmodells für das wissenschaftliche/künstlerische Personal. Zugleich aber enthält der Vertragsentwurf unzumutbare Regelungen für Beschäftigte im wissenschaftlichen Bereich, die an zentralen Punkten den Gleichheitsgrundsatz verletzten und mittelbar Frauen diskriminieren.

Die Einführung eines Tenure Track Modells muss allerdings wirkungslos bleiben, wenn den Universitäten abermals erlaubt wird, auf schlecht abgesicherte, deutlich kostengünstigere Beschäftigtengruppen auszuweichen. Allein deshalb sind die vorgesehenen Regelungen für den neuen universitären „Unterbau“ abzulehnen.

Stark benachteiligende, gleichheitswidrige und mittelbar diskriminierende Regelungen

Der Kollektivvertrag sieht fünf Gruppen des universitären „Unterbaus“ (oder: von wissenschaftlich/künstlerisch Beschäftigten) vor, deren Regelungen aus Sicht der IG Externe LektorInnen und freie WissenschafterInnen teils unzureichend, teils unzumutbar, teils gleichheitswidrig und mittelbar diskriminierend sind.

1.  WissenschafterInnen in Ausbildung

Die Regelungen für die – als Ersatz für die WissenschafterInnen in Ausbildung (Säule 1) – geschaffene Gruppe der UniversitätsassistentInnen sind aus Sicht der IG ungenügend. Die Arbeitsplätze dienen vornehmlich der Höherqualifizierung von MitarbeiterInnen – sind eine Investition der Universitäten in die wissenschaftliche Work Force. Nur dieser Ausbildungszweck rechtfertigt eine Befristung und die Entkoppelung von einem durchgängigen Karrieremodell. Insgesamt werden (aber deutlich) zu wenige Regelungen getroffen, die verhindern, dass Universitäten – wie bisher – auf befristete Beschäftigte aus Kostengründen ausweichen, um zentrale Aufgaben in Forschung und Lehre zu erfüllen.

2. ProjektmitarbeiterInnen

Der Entwurf des Kollektivvertrags nimmt die soziale Realität der Projektmitarbeiter-Innenkarriere, in der MitarbeiterInnen über zehn und mehr Jahre mittels Drittmittelprojekte an den Universitäten beschäftigt sind, nicht wahr. Er sieht für ProjektmitarbeiterInnen weder eine – von der Anerkennung des Doktorats abgesehen – Gehaltsentwicklung vor, noch greift für diese ein erhöhter Kündigungsschutz nach langer Zugehörigkeit. Das Risiko und die Organisation von projektförmiger Arbeit wird damit vollständig auf die ProjektmitarbeiterInnen abgewälzt – auch nachdem die Universitäten erfolgreich höhere Anteile an den eingeworbenen Drittmittel für sich durchgesetzt haben.

3. LektorInnen mit voller Lehrverpflichtung – Senior Lecturers

Die als Ersatz für das Modell „Bundeslehrer im Hochschuldienst“ geschaffene Gruppe der „LektorInnen mit voller Lehrverpflichtung“ partizipiert zwar an einem erhöhten Kündigungsschutz, es wird ihr allerdings – offen gleichheitswidrig – jede Anerkennung eines Doktoratsabschlusses vorenthalten. Zugleich wird eine – dem Vorrücken im Tenure Track Modell korrespondierende – Gehaltserhöhung vorgesehen, die allerdings je Stufe unbegründeter Weise € 400 statt € 500,- beträgt. Dem Zugewinn an Erfahrung und Kompetenz wird in keiner Weise explizit Rechnung getragen.

4. Studentische MitarbeiterInnen

Grundsätzlich vermisst werden Regelungen für die ehemals studentischen MitarbeiterInnen (TutorInnen, StudienassistentInnen). Die IG verweist darauf, dass die Gewerkschaft auch für diese DienstnehmerInnengruppen ein Verhandlungsmandat hat: Für Beschäftigte der Universitäten ist die Gewerkschaft verantwortlich, nicht die österreichische HochschülerInnenschaft.

5. LektorInnen

Besonders unzureichend sind die vorgesehenen kollektivvertraglichen Regelungen für LektorInnen. LektorInnen erhalten – auch und trotz der üblichen langjährigen Beschäftigung durch die Universitäten

  • keine Abgeltung für erreichte wissenschaftliche Höherqualifikation: Für Lehrende mit und ohne Doktorat ist dasselbe Mindestentgelt vorgesehen.

  • als einzige wissenschaftlich/künstlerische Beschäftigtengruppe keinerlei Abgeltung des Erfahrungsgewinns bei mehr- und langjähriger Tätigkeit.
  • keinerlei Recht auf die Erteilung unbefristeter Dienstverhältnisse oder auf die Einbeziehung in Modelle erhöhten Kündigungsschutz.

Zu allem Überfluss wird das Risiko des Nicht-Zustandekommens einer Lehrveranstaltung selbst im Gewerkschaftsentwurf de facto von der Universität auf die LektorInnen übertragen, die dann nur Anrecht auf ein nicht näher definiertes Entgelt für Vorbereitungsleistungen haben sollten.

Der Ausschluss der LektorInnen aus Regelungen, die für das wissenschaftliche/künstlerische Personal bei vergleichbarer Tätigkeit vorgesehen sind, ist offen gleichheitswidrig. Da der Anteil der an den Universitäten beschäftigten Frauen, die als LektorInnen arbeiten, deutlich höher ist, als der Anteil männlicher Lektoren, sind die Regelungen zudem mittelbar frauendiskriminierend. Sie treffen eines der beiden Geschlechter mittelbar deutlich härter und sind damit rechtswidrig. In beiden Punkten würde die IG im Fall eines Zustandekommens des Kollektivvertrags die juristische Anfechtung des Vertrags anstrengen.

Zentraler Kritikpunkt der IG ist die willkürliche, vom realen Arbeitsaufwand entkoppelte Festlegung der Arbeitszeit für eine Lehrveranstaltung. LektorInnen erhalten denselben Betrag je Lehreinheit, den die universitäre Kernbelegschaft für freiwillig übernommene, über das vorgeschriebene Maß hinausgehende Lehre erhält. Je Lehrveranstaltungswerteinheit ist der 13. Teil des Mindestgehalts für UniversitätsassistentInnen (ohne Doktorat) vorgesehen, das entspricht – bei einer angenommen Jahresstundenleistung von 1850 h - einer Arbeitszeit von 5,5 h pro Woche für einen zweistündigen wissenschaftlichen Lehrauftrag. Insbesondere bei der Vorbereitung neuer Lehrinhalte und bei höheren TeilnehmerInnenzahlen ist der reale Zeitaufwand je Lehrveranstaltung allerdings deutlich höher.

Forderungen der IG

Die IG fordert die Beseitigung der bestehenden gleichheitswidrigen und mittelbar diskriminierenden Regelungen und zudem eine deutliche Besserstellung aller zuvor genannten wissenschaftlich/künstlerischen (früher: des in den univerisitären „Unterbaus“ verbannten) Beschäftigungsgruppen.

Für die LektorInnen im Besonderen wird gefordert:

  • die Festlegung einer „Werteinheit“ je Lehrveranstaltung mit einem Zehntel eines 40 Stunden Arbeitsvertrages (das bedeutet für einen wissenschaftlichen Lehrauftrag eine Gesamtarbeitszeit von 7,2 h pro Woche) für die ersten beiden Werteinheiten, die weiteren Einheiten nach demselben Modell wie für alle anderen Beschäftigtengruppen.
  • Die Abgeltung der Mehrarbeit, die durch die Teilnahme von mehr als 20 StudentInnen an einer Lehrveranstaltung entsteht.
  • Die LektorInnen müssen nach ihrer tatsächlich erreichten Qualifikation entlohnt werden, d.h.
    • bei Vorliegen des Doktorats der zehnte Teil der entsprechenden Kategorie
    • bei Vorliegen von mehr als fünfjähriger Lehrtätigkeit und dem Erreichen der im Tenure Track Modell vorgesehenen Qualifikationsstufen ist zumindest der Entgeltsatz des/der „Assistent-Professors/in“ anzusetzen.
    • der Erfahrungszuwachs ist in derselben Weise wie für alle anderen Beschäftigtengruppen abzugelten.
  • LektorInnen, die länger als drei Jahre ununterbrochen in der Lehre eingesetzt werden, erhalten das Recht auf einen unbefristeten Dienstvertrag. Nach zehn Jahren ist ausschließlich eine betriebsbedingte Kündigung (nachweislicher Entfall des Bedarfs) vorzusehen.