Stellungnahme zum Kollektivvertrag und Forderungen der IG externe LektorInnen und freie WissenschafterInnen - Forderungskatalog
(geänderte und erweiterte Fassung der Version vom 28. Mai 2009)
Wien, 1. März 2010
Die Interessengemeinschaft (IG) externe LektorInnen und freie WissenschafterInnen ist angesichts der Bestrebungen Forschung und Lehre zu trennen um die Zukunft der Universitäten als Orte der Wissenschaft und der kritischen Reflexion besorgt. Für die LektorInnen kann es nicht um die Abschaffung ihrer prekären Anstellungen gehen, sondern um eine Verbesserung ihrer Anbindung an die Universitäten, langfristige Verträge und eine entsprechend bessere Bezahlung.
Die LektorInnen der Universität Wien halten in einigen Studienrichtungen über 50% der Pflichtlehre. Unter diesen LektorInnen befinden sich einerseits junge Lehrende, die erst ihr Studium abgeschlossen haben und auf diese Weise erste Lehrerfahrungen als NachwuchswissenschafterInnen sammeln können, andererseits aber auch Lehrende, die oft auf eine langjährige Erfahrung als WissenschafterInnen aus außeruniversitären Forschungsbereichen oder aus unterschiedlichen Praxisfeldern zurückblicken können. Gerade in den Sozial-/Kultur-/Bildungswissenschaften ist der größte Anteil von LektorInnen tätig – sie machen an bestimmten Fakultäten das Doppelte oder sogar Dreifache zum permanent beschäftigten Lehrpersonal aus. An der Universität Wien beträgt derzeit der Anteil von LektorInnen sogar mehr als die Hälfte des wissenschaftlichen Personals. Ein Teil von ihnen unterrichtet seit vielen Jahren regelmäßig – die einen zwischen 2 und 4 Semesterwochenstunden, einige bis zur aktuell gültigen Obergrenze von 7,9 Semesterwochenstunden. Ein Gros der LektorInnen in diesen Fächern sind DrittmittelforscherInnen (entweder freie oder außeruniversitäre oder temporär an die Universität angebundene) und/oder sind in Praxisbereichen tätig, die zeitgemäßes Wissen aus Forschung und Expertentum in seiner inhaltlichen Vielfalt in der universitären Lehre vermitteln.
Für die Universität Wien, die diesen LektorInnen bisher meist keinerlei Infrastruktur oder Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt hat, war dies bislang die kostengünstigste Möglichkeit eine vielfältige Lehre sicherzustellen und wissenschaftlichem Nachwuchs Lehrerfahrung zu ermöglichen. Für jene LektorInnen, die zumindest teilweise von dieser Lehre leben mussten und keine fixe außeruniversitäre Anstellung hatten, ist diese Situation zwar äußerst prekär und auf jeden Fall verbesserungsbedürftig, allerdings gibt es auch eine Reihe von LektorInnen, die genau diese Form der Lehre wollen, da sie eben außeruniversitär forschen oder Praxiserfahrungen aus unterschiedlichen Berufen auch für Studierende nutzbar machen und damit einem Rückzug der Universitäten in einen Elfenbeinturm entgegenwirken. Für LektorInnen ohne weitere feste Anstellung war diese minimale Anstellung aufgrund der damit verbundenen Versicherung von Bedeutung. Neben den sozialen Aspekten war und ist aber die Lehre für LektorInnen, die mit ihren wissenschaftlichen Leistungen oft die jeweilige Universität auf Konferenzen im In- und Ausland vertreten, die einzige Anbindungsform an die Universität. Hochschulstudien zeigen, dass die universitäre Lehre für (externe) LektorInnen wesentlich größere Bedeutungen für eine wissenschaftliche Laufbahn hat als für so genannte interne Lehrende.
Trotz einer qualitativ hochwertigen Lehre, die stets auf dem neuesten Stand der Forschung steht, waren LektorInnen an der Universität Wien sowie an anderen österreichischen Universitätsstandorten bislang strukturell benachteiligte Lehrende, die weder adäquate Arbeitsplätze noch finanzielle Unterstützung bei Konferenzteilnahmen (im Namen der Universitäten) oder nur eine minimale Infrastruktur zur Verfügung gestellt bekamen.
Die Interessengemeinschaft (IG) externe LektorInnen und freie WissenschafterInnen protestiert gegen die Pläne des Rektorats der Universität Wien, die bisherigen (externen) LektorInnen durch „Senior Lecturers“ (gemäß § 26(3) des Kollektivvertrags) zu ersetzen. Diese von der Universität Wien angestrebten „Senior Lecturers“ haben nichts mit den gleichnamigen Positionen an amerikanischen oder britischen Universitäten zu tun. Dort ist es selbstverständlich, dass Senior Lecturers auf ihren Stellen auch ausreichend Zeit zum Forschen haben, ihre Positionen sind eher mit den a.o. Univ.-Professuren im deutschsprachigen Raum vergleichbar. Der „international“ klingende Name des neuen Lehrpersonals soll verschleiern, dass es sich dabei um „Nur-LehrerInnen“ handelt, die durch eine extreme Stunden- und Studierendenüberlastung von 13 bis 16 Semesterwochenstunden, an Forschung gehindert werden. Die Universität rechnet je Unterrichtsstunde im Hörsaal 3 Stunden Arbeitszeit (Vorbereitung, Benotung, Sprechstunden,…), was ein ohnehin zu gering bemessenes Stundenausmaß für die reale Arbeitszeit ist! Sollte das Lehrkontingent nicht insgesamt erhöht werden – und die Universität Wien „träumt“ bezüglich der Umstellung auf Senior Lecturers von einer „Kostenneutralität“ – ist damit jedoch kaum ein Auslangen zu finden.
Damit blieben bei einer Vollzeitbeschäftigung allenfalls noch die Sommerferien für die Forschung übrig, was jegliche seriöse wissenschaftliche Arbeit verunmöglicht. Darunter leiden nicht nur die Vielfalt und Qualität der Lehre, die sich wesentlich aus der Forschung sowie im Falle der LektorInnen der außeruniversitären Forschung sowie Praxis der Lehrenden speisen, sondern auch die Forschung selbst, die erfahrungsgemäß erheblich von den Anregungen aus der Lehre profitiert. Die strukturelle Trennung von Forschung und Lehre muss eindeutig und vehement zurückgewiesen werden! Wer diese Einheit zerstört, zerstört mittel- und langfristig auch die Universitäten.
Die IG externe LektorInnen und freie WissenschafterInnen fordert deshalb
- Die Universität Wien sollte LektorInnen und ihre erheblichen und qualitätsvollen Leistungen in Forschung und Lehre, die international mitunter mehr anerkannt werden als an der eigenen Universität, endlich strukturell adäquat anerkennen! Dann kann die Universität die LektorInnen umgekehrt auch für die Aufnahme in das universitäre Wissenskapital verpflichten.
- Senior Lecturer-Stellen dürfen die LektorInnen nicht ersetzen, sondern sollen diese ergänzen und damit endlich wieder ein vertretbares Betreuungsverhältnis in den einzelnen Studienrichtungen ermöglichen.
- Senior Lecturers sollen je nach Fach und Lehrveranstaltungen nicht mehr als 8 Semesterwochenstunden für eine Vollzeitstelle lehren. Der Rest der Zeit soll für die Forschung zur Verfügung stehen.
- Senior Lecturers brauchen einen vollwertigen Arbeitsplatz an der Universität.
- Eine adäquate Infrastruktur, entsprechend dem österreichischen Arbeitsrecht, muss auch für alle anderen Lehrenden, also auch für die LektorInnen zur Verfügung gestellt werden.
- Für die LektorInnen verlangen wir (gemäß § 29 des Kollektivvertrags), dass diese in länger als jeweils nur 6 Monate dauernde Arbeitsverhältnisse übergeführt werden.
- Entsprechend dem Kollektivvertrag § 29 (2) sollen insbesondere jene LektorInnen, die regelmäßig 4 SWStunden und mehr unterrichten, in Arbeitsverhältnisse mit einer Dauer von mindestens 4 Jahren übergeführt werden. Eine Planung der wissenschaftlichen Laufbahn muss endlich auch ihnen ermöglicht werden!
- Wir verlangen eine Aufstockung der Gehälter, die dem realen Arbeitsaufwand für gute Lehre entspricht! Die IG kritisierte bereits mehrfach die willkürliche, vom realen Arbeitsaufwand entkoppelte Festlegung der Arbeitszeit für eine Lehrveranstaltung. Insbesondere bei der Vorbereitung neuer Lehrinhalte und bei höheren TeilnehmerInnenzahlen (in manchen Fächern Hunderte von Studierende in einer Lehrveranstaltung) ist der reale Zeitaufwand je Lehrveranstaltung allerdings deutlich höher. Ein Lehrauftrag mit zwei Wochenstunden pro Semester soll einem Teilzeitbeschäftigungsverhältnis im Ausmaß von 10 Wochenstunden (in Ausnahmefällen bei nachweislich geringerem Aufwand 8 Wochenstunden) mit sechs Monaten Gesamtdauer entsprechen.
- Wenn habilitierte UniversitätsdozentInnen im Rahmen ihrer Venia Pflichtlehrveranstaltungen abhalten, fordern wir deren adäquate Abgeltung gemäß dem Kollektivvertrag.
- Für LektorInnen (jene mit Doktorat ebenso wie jene mit der Habilitation), die Diplomarbeiten und Dissertationen betreuen, fordern wir die adäquate Bezahlung der Betreuungsarbeit! Es darf nicht sein, dass LektorInnen wissenschaftliche Abschlussarbeiten gratis betreuen!